Wolfgang W. Fruhmann

STRUKTURWANDEL IM LÄNDLICHEN RAUM - PHASE 21

 

Der Strukturwandel ländlicher Räume tritt zu Beginn des 21. Jahrhunderts in eine neue Phase ein.Diese hat Auswirkungen auf alle Akteure, auf Kommunen wie externe Dienstleister.

Bewirkte der raumstrukturelle Bedeutungsverlust der Landwirtschaft bisher eher eine reaktiv-passive Anpassung der Lebensumstände unter Inanspruchnahme insbesondere der wirtschaftlichen Möglichkeiten der größeren Städte und Verdichtungsräume, so lösen sich nun traditionelle Standortmuster im privaten wie wirtschaftlichen Bereich auf, was aktiv nutzbare Handlungsspielräume zu eröffnen scheint.

Diese Umkehrung der Gegebenheiten manifestiert sich am augenfälligsten in den Wanderungssalden der Bevölkerung. Waren noch vor 10 Jahren die suburbanen Räume um die Metropolen oder Verdichtungsräume die Gewinner, so sind es jetzt die ländlichen Räume zwischen diesen. Diese Feststellung gilt z.B. für die Ergebnisse der Volkszählung in Frankreich 1999 (vgl. frz. Raumordnungsbehörde DATAR) ebenso wie für die Gebiete im Westen und Süden Deutschlands (vgl. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, BBR). Hier wie da wachsen in den "Zwischenräumen" Bevölkerung und Beschäftigung gleichermaßen.

Es stellen sich Fragen: Handelt es sich hier um einen kurzfristigen, zufälligen Trend, geschuldet einer Momentaufnahme? Schlägt das raumordnerische Konzept der "dezentralen Konzentration" massiv zu Buche? Oder nimmt hier in der Tat ein tiefgreifender Wandel Gestalt an, der Chancen aber auch Herausforderungen für den ländlichen Raum birgt? Und wie immer ist es leichter zu fragen, als zu antworten.

Zuerst bleibt die Feststellung gültig, daß es den ländlichen Raum nicht gibt. Immer wird es unterschiedliche Typen in siedlungsstruktureller, demographisch-gesellschaftlicher, wirtschaftlicher wie soziokultureller Hinsicht geben (vgl. z. B. Unterschiede in Ost- und Westdeutschland).

Dagegen scheint die phasenhafte Abfolge von Raum- und Siedlungsentwicklungen (vgl. Prozesse wie Suburbanisierung, Desurbanisierung, Reurbanisierung, Landflucht etc.) nicht länger haltbar zu sein. Diese z.T. gegenläufigen Dynamiken laufen gleichzeitig und nebeneinander ab, erschweren mithin die Formulierung von klaren Steuerungskriterien und - zielen. Der aktuelle Disput um die Genehmigungsfähigkeit von Einzelhandelsgroßprojekten oder gar Factory Outlets macht dies beispielhaft deutlich.

Bindet man an dieser Stelle finanzpolitische Gegebenheiten in die Betrachtung mit ein, wird offensichtlich, daß integrierte, nachhaltige Steuerungsinstrumente noch fehlen resp. nicht angewendet werden. So wird der zugunsten des Wohneigentums entschiedene trade off zwischen teurem (Miet)Wohnen in der Stadt oder geräumigem Wohneigentum im Grünen inkl. Fernpendeln durch Förderung eben des Wohneigentums, von (immer noch) billigem resp. steuergestütztem Individualverkehr, durch vernachlässigte Wohnungspolitik in den Ballungsräumen und zentralistische Wirtschaftsförderung (vgl. Biotechnologie in München) vorentschieden.

Betrachtet man die grundlegende Bevölkerungsdynamik per se, so sind hier einige Regionen klar im Vorteil. Der renommierte Raumplaner und Ministerialdirigent im zuständigen Bundesministerium Manfred SINZ spricht von einer regionaldemographischen Phasenverschiebung. Diese ist geprägt durch einen auf dem Land länger anhaltenden Babyboom mit dem rezenten Effekt einer jüngeren Bevölkerung mit natürlich überdurchschnittlichem endogenem Wachstum. Junge Regionen sind folgerichtig in Zeiten prognostizierten Arbeitskräftemangels selbstverstärkend attraktiv und mithin prädestiniert, die vielfach postulierten "kreativen Milieus" entstehen zu lassen.

An dieser Stelle nochmals zurück zur angesprochene indifferente Entwicklung und Bewertung ländlicher Räume: Ist es nicht fast grotesk zu nennen, daß nicht zuletzt die hohe Arbeitslosenquote in der Region Leipzig für den neuen BMW-Werksstandort ausschlaggebend war?

Wenn also der ländliche Raum per se als Lebensstandort attraktiv ist, er endogen immer wertvoller werdende demographische Potentiale hat und sogar Strukturschwäche sich zum Wettbewerbsvorteil wandelt, haben wir doch einen Selbstläufer auf Erfolgskurs vor uns - wo bleiben die Herausforderungen für die Kommunen, die Entscheider und Akteure vor Ort wie auf planerisch-beratender Seite in Verwaltung und freier Wirtschaft?

Die grundlegende Herausforderung liegt in der überfälligen Neudefinition des Verhältnisses Stadt - Umland - ländlicher Raum und der zugehörigen Aufgabenverteilung.

Im Rahmen dessen hat der ländliche Raum die Pflicht und die Chance sich aktiv mit zukunftsweisenden Konzepten zu positionieren. Das kann selbstredend nur als Querschnittsaufgabe qualitativ und innovativ bearbeitet werden. Und dazu wiederum wird wesentlich sein, auf allen relevanten Handlungsfeldern einen Informations- und Wissensvorsprung zu haben (z.B. welche Potentiale bergen neue Technologien wie Breitbandkabel, Biotechnologie, Application service providing (ASP) oder Megatrends wie Globalisierung, Virtualisierung der Arbeit etc.), der sich in Wert setzen läßt. Denn sicher ist auch, daß der Wettbewerb der Kommunen und Regionen trotz oder gerade wegen der günstigen Vorzeichen zunehmen wird.

Das führt zur Kardinalsfrage: Können die Kommunen das leisten? Haben Sie diesen kontinuierlichen Wissensvorsprung, dieses Innovations - Know how, das Umsetzungsinstrumentarium?

Aus Sicht des Consulters wie des Forschungsorientierten gibt es zwei Antworten: "nein" und "noch nicht".

Letztere bezieht sich auf die Organisation einer schlagkräftigen Verwaltung und Kommunalpolitik mit erweiterten Entscheidungsspielräumen. In diesem Bereich kann die Kommune durch Reorganisation und Veränderungsmanagement eigene Kompetenzen erwerben. Konzepte wie das zu erreichen ist, finden sich in anderen Beiträgen dieses Heftes.

Aber wie jeder Wirtschaftsbetrieb wird sich auch die Kommune auf ihre Kernaufgaben konzentrieren wollen und müssen. Nicht für jeden Teilbereich der vielfältigen kommunalen Aufgaben wird es internes Expertenwissen geben können. Eine erfolgs- wie zukunftsorientierte Kommune wird Vorsprung und damit Handlungsspielräume nur mit externer Partnerschaft (privat public partnership; vgl. entsprechende Projekte des Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen) erlangen und sichern können. Kontinuität, Langfristigkeit, Angemessenheit und Umsetzungsorientierung werden wesentliche Parameter dieser modernen Form der Kooperation sein.

Weiterhin müssen zukunftsweisende Entwicklungskonzepte und Handlungsleitlinien individuell unter Beachtung des gesamten Faktorenkomplexes erarbeitet werden, was weder eine Gemeinde noch ein Berater alleine leisten kann. Ein Beispiel: Die Biotechnologiebranche ist kaum halbwegs etabliert schon im Umbruch. Die Forschungsorientierung tritt zugunsten der konkreten Produktion zurück. Braucht Forschung und Entwicklung Fühlungsvorteile wie sie nur ein synergetisches Cluster aus Hochschulen, (Forschungs)Unternehmen und Kapitalgebern bieten kann (vgl. Martinsried b. München), wird sich Produktion oder laborintensive Arbeit doch auch im ländlichen Raum ansiedeln können. Die Klagen über zu hohe Mieten, Raummangel und auch dadurch verursachten Fachkräftemangel gerade in München sind unüberhörbar. Was sind also Verlagerungs/Auslagerungsanforderungen solcher Unternehmen(steile)? Wie muß die Infrastruktur dafür aussehen (attraktive Gewerbeobjekte und -gebiete, Informations- und Kommunikationsinfrastruktur)? Welches Lebensumfeld erwarten die Mitarbeiter (Lebensentwurfanalyse, Baulandplanung, Verbindung Wohnen und Arbeiten, Freizeit, Bildung für sich selbst und die Kinder, Sozialstandards, Ökostandards)? Wie kommuniziert man die diesbezüglichen Kompetenzen und Standortvorteile einer Kommune oder Region - wohlgemerkt nach außen und innen?

Nur aus der integrierten Bearbeitung dieser Fragen aus Demographie, Raumstruktur, Wirtschaftsförderung, Wirtschaftsberatung, Umweltplanung, Architektur, Städtebau, Kommmunikation, Technologie und Unternehmensorganisation und -philosophie kann ein erfolgreiches Konzept entstehen.

Selbstverständlich haben in der Arbeit diskursive Beteiligungsmodelle im Sinne einer Planung von unten mit entsprechendem Prozeßmanagement und Moderation Einsatz zu finden.

Die Erfüllung dieser Anforderungen stellt folglich auch die externen Dienstleister für die Kommunen vor eine neue Situation. Jeder für sich ist sicher im Denken in Kausalketten und Systemen versiert. Aber der Kommune kann nicht zugemutet werden, die Teilergebnisse einzelner Fachgebiete selbst zusammenzuführen. Sie kann eine abgestimmte, vielfach rückgekoppelte und damit zurecht als nachhaltig zu bezeichnende Beratung aus einer Hand erwarten. Und sie kann erwarten, nicht nur themenorientierte Ergebnisse zu bekommen, sondern auch erwarten, durch Einbindung der verwaltungs- und finanztechnischen Seite und der politischen Anforderungen Handlungsspielräume eröffnet zu bekommen, die eine Umsetzung befördern. Plakativ gesprochen: Die Dienstleistung per se kostet natürlich Geld, aber sie zeigt von Anfang an Wege auf, sich selbst und die Umsetzung der Arbeitsergebnisse zu finanzieren.


 

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